Seit der UN-Kinderrechtskonvention haben alle Kinder und Jugendliche das Recht auf demokratische Partizipation in allen Lebensbereichen − auch im Sportverein. Kompetenzen, die die jungen Menschen erwerben müssen, um demokratisch partizipieren zu können, eignen sie sich an, indem ihnen Mitbestimmung und Entscheidung, Mitsprache und Aushandlung sowie Mitgestaltung und Engagement ermöglicht werden. Demokratische Partizipation kann demnach nicht früh genug vermittelt werden. Doch welche Haltung und welche Prozesse sind dafür im Verein notwendig?
Partizipationsförderliche Haltung
Demokratische Beteiligung in der Sportpraxis zu etablieren, liegt in der Hand von Übungsleitern, Betreuern und Vereinsverantwortlichen. Dabei gibt es einige entscheidende Einstellungen und Haltungen, die die betroffenen Personen einnehmen sollten, wenn sie die Demokratie langfristig und zielgerichtet in ihrem Verein umsetzen möchten. Ganz allgemein sollte den jungen Menschen eine anerkennende und wertschätzende Haltung entgegengebracht werden. Partizipation gelingt nur dann, wenn Trainer und Vereinsführung bereit sind, die Jugendlichen an unterschiedlichsten Aspekten mitbestimmen, mitgestalten, engagieren und entscheiden zu lassen.
Dafür ist unter anderem die Abkehr vom meist traditionell einseitigen Führungsstil in der Sportpraxis nötig. Auch wenn sicher viele Gründe für das Motto „Was der Trainer sagt, ist Gesetz“ sprechen, findet auf diese Weise keine Beteiligung der Spieler bzw. Mitglieder im Verein statt. Damit die jungen Menschen selbst Verantwortung übernehmen, ist es von großer Bedeutung, dass die Verantwortlichen ihren Einfluss demokratisch gestalten und den Meinungen und Wünschen der Kinder und Jugendlichen mehr Gehör schenken. Dazu braucht es Vertrauen in die Fähigkeiten der jungen Sportler, dass diese ihren persönlichen Lernprozess selbst gestalten bzw. für ihre Interessen einstehen. Das ist nur möglich, wenn großer Wert auf einen guten Umgang untereinander und ein angenehmes Gruppenklima gelegt wird.
Dennoch ist darauf zu achten, dass demokratische Beteiligung nicht erzwungen werden kann. Partizipation geschieht freiwillig. Kinder und Jugendliche können dazu nur motiviert werden. Wenn ein Kind aber nicht mitsprechen und mitgestalten möchte, sollte dies auch akzeptiert werden. Dann ist es umso wichtiger, Geduld zu zeigen und immer wieder Anreize zu schaffen, dass Gelegenheiten zur demokratischen Partizipation von ihnen freiwillig wahrgenommen werden.
Die benötigte offene Haltung der Verantwortlichen bedingt selbstredend, dass die Kinder und Jugendlichen immer wieder „Fehler“ machen dürfen. Demokratische Kompetenzen brauchen Umwege des Ausprobierens. Es sollte der Grundsatz gelten: „Der Weg ist das Ziel“. Das Akzeptieren von Fehlern und eine prozessoffene Haltung aufseiten der Trainer und Betreuer ermöglichen den jungen Menschen, sich in einer angstfreien Atmosphäre auszuprobieren und dadurch eigenständig zu lernen.
Pädagogisch-didaktische Fähigkeiten
Neben einer entsprechenden Haltung gegenüber jungen Menschen sollten die Verantwortlichen auch über das Wissen und das methodische Know-how verfügen, wie genau sich demokratische Partizipation zum Beispiel im Trainingsbetrieb umsetzen lässt. Je nach Vorerfahrungen, Gruppenklima und Ziel einer Einheit sollte abgewogen werden, in welchen Situationen Fremd-, Mit- oder Selbstbestimmung angebracht ist. Insgesamt sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen diesen drei Handlungsformen angestrebt werden.
Geht es um die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen, zum Beispiel beim Geräteturnen oder Schwimmen, ist durch Fremdbestimmung jegliches Risiko zu minimieren. Auch bei neuen Aufgaben, Spielen oder Bewegungsabläufen ist es zumeist absolut notwendig, dass fremdbestimmt durch den Übungsleiter gehandelt wird und die Regeln erklärt bzw. angeleitet werden. Gerade jüngere Kinder sind vor Überforderung zu schützen. Hier sollte gemäß der Entwicklung zunächst mehr Fremdbestimmung eingesetzt werden, um schließlich schrittweise mehr Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu erlauben.
Durch Mitbestimmung von jungen Menschen können die meisten Zieldimensionen der demokratischen Partizipation erreicht werden und es kann eine echte Demokratie im Kleinen erfahrbar gemacht werden. So haben alle Beteiligten einen Anteil und können ihre eigenen und gruppenspezifischen Interessen vertreten. Insbesondere Kindern und Jugendlichen mit einer Bildungsbenachteiligung oder auch Sprachschwierigkeiten kann in einem Gesprächskreis die Gelegenheit gegeben werden, dass auch sie ihre Meinung in einem geschützten Rahmen äußern können.
Sofern die Verantwortlichen den Eindruck haben, dass sie ihren Teilnehmern noch mehr Freiräume überlassen können und diese in der Lage sind, mit dem Freiraum angemessen umzugehen, können sie Selbstbestimmung fördern. Auf diese Weise können die Kinder und Jugendlichen u. a. lernen, Verantwortung für sich zu übernehmen und einen Gemeinsinn zu entwickeln. Das fängt bei kleinen Details an: Wenn ein Junge sich beschwert, dass ein Mädchen eine von mehreren aufgebauten Stationen blockiert, kann der Betreuer zunächst fragen, ob der Junge das Mädchen denn darauf angesprochen hat. Wenn nicht, kann dem Jungen auch der Impuls dazu gegeben werden, das Mädchen zunächst einmal darauf anzusprechen und die Situation eigenständig zu lösen.
Mithilfe des Modells zur demokratischen Partizipationsförderung kann es gelingen, Beteiligung systematisch und zielgerichtet umzusetzen. Zunächst müssen Verantwortliche erkennen, in welchen Situationen (Wo?) demokratische Partizipation möglich ist. Dies sind typische Situationen, die in gewisser Form immer wieder auftauchen und vielfältige Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Entscheidung bieten (z. B. Gesprächskreise, Auf- und Abbau, Übungen, Spiele, Pausen). Innerhalb dieser „Orte“ können das „Wie?“ und das „Wozu?“ eingesetzt werden. Zunächst gilt es hier, die Kinder und Jugendlichen zu informieren, um ihnen ein Verständnis über die Ziele, Inhalte und Methoden der jeweiligen Übung zu vermitteln. Informationen und Wissen stellen eine Grundvoraussetzung für demokratische Partizipation dar. Eine weitere Aufgabe besteht darin, Partizipation zu arrangieren, d. h. einheitliche Voraussetzungen für alle Teilnehmer zu schaffen. Je eingeschränkter eine Entscheidungsmöglichkeit für die jungen Sportler ist, desto mehr ist sie fremdbestimmt. Je größer die Übungsleiter den Entscheidungsspielraum gestalten, desto mehr Mit- bzw. Selbstbestimmung wird ermöglicht. Wenn Kinder und Jugendliche diesen Entscheidungsspielraum nicht wahrnehmen, bietet sich ein Initiieren an. Die Betreuer setzen Impulse, damit die jungen Menschen Lernprozesse wahrnehmen.
Ein Beispiel: Spielregeln
Spielregeln sind elementarer Bestandteil von Spielen und charakterisieren ihren Ablauf. Eine fremdbestimmte Erläuterung ist vor allem bei der Einführung neuer Spiele für die Gruppe unerlässlich, um die Kinder über die neuen Inhalte zu informieren. Neben der bloßen Erklärung der Regeln können diese in einem nächsten Schritt auch von den jungen Teilnehmern durch Mitbestimmung an die jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Gruppe angepasst werden. Die Übungsleiter berücksichtigen in diesem Fall u. a. die Gruppeninteressen und stärken durch die Vergrößerung des Entscheidungsspielraums die Selbstorganisation der Gruppe. Auch hier kann im Rahmen eines Diskussions- und Aushandlungsprozesses zunehmend Selbstständigkeit gefördert werden. Vor allem bei Wunschspielen kann die Benennung der Spielregeln selbstbestimmt erfolgen. Diese Vergrößerung des Entscheidungsspielraums fördert die Eigeninitiative und die Selbstorganisation der jungen Menschen. Zudem übernehmen sie Verantwortung für die möglichst problemlose Umsetzung des Spiels.
Insgesamt handelt es sich in der Sportpraxis häufig um vermeintlich einfache und unspektakuläre kleine Wahlmöglichkeiten, die nur selten eine Umstrukturierung des fachlichen Sportangebots erfordern. Das Lernen am Modell kann dabei gerade für jüngere Kinder sowie partizipationsunerfahrene junge Menschen eine notwendige Basis darstellen. Demnach müssen für eine Erziehung zum demokratischen Handeln geduldig Freiheiten zur individuellen und selbstbestimmten Entfaltung gewährt, ein ergebnisoffenes und ehrliches Aushandeln ermöglicht, aber auch verantwortungsvoll fremdbestimmte Grenzen zur Orientierung gesetzt werden. Diese notwendige, situations- und entwicklungsorientierte Balance kann als Schlüssel für eine gelingende Partizipation während der diversen Prozesse in der Sportpraxis bezeichnet werden.
Der Jugendtag des Sportvereins bzw. die Jugendtage der Fachabteilungen sind die höchsten Entscheidungsorgane der Vereinsjugend. Dort wird unter anderem der Jugendvorstand gewählt und es werden Beschlüsse gefasst, die gegebenenfalls in die Mitgliederversammlung des Sportvereins eingebracht werden. Sportvereine verfügen meist über Leitbilder, Selbstverständnisse sowie beteiligungsfördernde, aber auch -hemmende Strukturen. Die Eigenständigkeit der Jugend ist innerhalb des Gesamtvereins jedoch zu sichern und hängt mit den jeweiligen Satzungen und Ordnungen zusammen. In Teil 4 der Serie erfahren Sie deshalb, welche Aussagen zur Eigenständigkeit verbindlich in die Vereinssatzung aufgenommen werden müssen und warum eine Jugendordnung von so großer Bedeutung ist.
Quellen:
– Derecik, A./Goutin, M.C./Michel, J. (2018): Partizipationsförderung in Ganztagsschulen. Innovative Theorien und komplexe Praxishinweise.
– Deutsche Sportjugend (dsj) im DOSB e.V. (2018): Der vielschichtige Partizipationsbegriff.
– Deutsche Sportjugend (dsj) im DOSB e.V. (2018): Gelingende demokratische Partizipation in der Sportpraxis.
– Knauer, R./Sturzenhecker, B. (2005): Partizipation im Jugendalter.