Intervention bei sexualisierter Gewalt im Sportverein
Was tun im Verdachtsfall?
Wir alle wünschen uns, dass sich betroffene Kinder und Jugendliche zur Wehr setzen, sich Hilfe holen und das Schweigen brechen. Die meisten von uns haben aber sicherlich auch großes Unbehagen bei der Vorstellung, dass sich ein Mädchen oder Junge anvertraut, man auf anderem Wege von einem – möglicherweise nur vagen – Verdacht erfährt oder gar einen sexuellen Übergriff selbst beobachtet. Die Verunsicherung über die richtigen Schritte ist verständlicherweise groß und die Last der Verantwortung erscheint erdrückend – der Krisenfall ist da. Ein umfassendes Präventionskonzept zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen im Sportverein sollte deshalb immer durch einen für alle Mitarbeiter*innen verbindlichen Handlungsleitfaden für den Umgang mit Verdachts- bzw. Krisensituationen ergänzt werden.
Ein Krisenplan bietet Handlungssicherheit
Wie kann ich das Kind schützen? Was kann ich tun, was darf ich tun, wozu bin ich verpflichtet und was sollte ich besser vermeiden?
Zunächst gilt in jedem Fall: Ruhe bewahren!
Auch wenn jeder Vorfall individuell anders gelagert ist und eine Intervention nach „Schema F“ kaum möglich sein wird, kann sich ein interner Krisenplan des Sportvereins als Handlungsleitfaden für die richtige Vorgehensweise als hilfreich erweisen, da er im Fall eines Falles die Gefahr von unüberlegten Reaktionen minimiert und für Orientierung und Sicherheit sorgt. In diesem Plan werden die einzelnen Schritte, Sofortmaßnahmen, Verantwortlichkeiten, Meldepflichten sowie interne und externe Ansprechpartner festgelegt. Der Schutz und das Wohlergehen des betroffenen Mädchens oder Jungens stehen dabei immer an erster Stelle.
Im Falle der Fälle sollte also vereinsintern für alle Mitarbeiter*innen klar geregelt sein:
- Wie läuft die Melde-/Hilfekette innerhalb des Vereins? (Erste Schutzmaßnahmen für das (potentielle) Opfer, Einschalten der internen Ansprechstelle, Vorstand, Bildung eines „Krisenteams“ zur Abstimmung der weiteren Schritte
- Wer schaltet wann externe Hilfen (Beratungsstellen, Vertrauenspersonen der Sportjugend) ein?
- Was passiert wann mit der beschuldigten Person? (Je nachdem, ob es sich um ein anderes Kind oder Jugendlichen, eine fremde Person, jemanden aus dem sozialen Nahraum des Opfers oder gar um eine Person aus dem Verein handelt)
- Wer informiert (wann) das Jugendamt und/oder das entsprechende Fachdezernat der Polizei?
- Wer informiert und berät weitere Beteiligte/Anspruchsgruppen, z. B. Mädchen und Jungen und deren Eltern, Vereinskolleg*innen, Dachverband und ggf. Medien und Öffentlichkeit?
- Wie werden die Erfahrungen aufgearbeitet und welche Konsequenzen für das Präventionskonzept des Vereins ergeben sich?
Dabei gilt: Umfassende strukturelle Präventionsmaßnahmen können zwar leider keine 100%ige Sicherheit bieten, stellen aber eine entscheidende Basis für wirksame Interventionsmaßnahmen im Krisenfall dar. Denn nur selten ist ein Fall klar und eindeutig – die Regel sind vielmehr diffuse und verwirrende Situationen. Es gilt, viel Unklarheit auszuhalten und dennoch handlungsfähig zu bleiben.
Eine regelmäßige Sensibilisierung und Schulung zum Thema Prävention und Intervention ist dafür eine wesentliche Grundlage. Gerade die bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Haltungen und Gefühlen zum Thema sexualisierte Gewalt ist wichtig, um Verdachtssituationen einerseits gewissenhaft zu prüfen, andererseits nicht den Fehler zu machen, selbst „quasi polizeilich“ ermitteln zu wollen und eine detaillierte Klärung aller Einzelheiten anzustreben. Eigenständige Befragungen des Opfers und/oder Verhöre der unter Verdacht stehenden/beschuldigten Person können dabei für eine spätere – ggf. strafrechtliche – Aufarbeitung des Falles immensen Schaden anrichten.
Die Einhaltung konkreter Schutzvereinbarungen dagegen kann von Mitarbeiter*innen eingefordert und Verstöße können – ggf. arbeitsrechtlich – sanktioniert werden, auch wenn ein grenzverletzendes Verhalten sich (noch) nicht im strafrechtlich relevanten Bereich bewegt bzw. die Absichten der übergriffigen Person nicht vollständig geklärt sind. Genauso kann ein potentieller Täter auf eine unterschriebene Ehrenerklärung hingewiesen und zur Einhaltung derselben verpflichtet werden.