Mädchen und Jungen im Sportverein schützen – keine Gelegenheiten bieten!
Zur Prävention gehören alle Maßnahmen, die ein Klima für sexualisierte Gewalt gar nicht erst entstehen lassen – Maßnahmen, die Mädchen und Jungen stark machen, damit sie lernen, sich zu wehren, und die dafür sorgen, dass bestehende Gewaltverhältnisse aufgedeckt und beendet werden. Pädagogische Konzepte und Programme, die Mitbestimmung und Partizipation fördern und Kinder und Jugendliche in ihrer Selbstbehauptung und Selbstbestimmung stärken, können hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Es sind aber auch die Grenzen dieses Präventionsansatzes zu beachten. Kinder haben aufgrund ihres Entwicklungsstandes und angesichts der ausgefeilten Strategien von Täter*innen nur begrenzte Möglichkeiten, sich erfolgreich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren.
Kultur der Aufmerksamkeit
Sportvereine sind daher in erster Linie selbst in der Verantwortung, Präventionsmaßnahmen in den eigenen Strukturen und bei den dort tätigen Erwachsenen nachhaltig zu verankern. 100%ige Sicherheit gibt es leider nicht – deshalb ist ein auf den jeweiligen Verein abgestimmtes Präventionskonzept mit einer Kombination verschiedener Schutzelemente und einer „Kultur der Aufmerksamkeit“ am zielführendsten:
Sexualisierte Gewalt enttabuisieren
Um ernsthaft ein Klima der Aufmerksamkeit im Sportverein zu entwickeln, ist es unerlässlich, sexualisierte Gewalt zum Thema zu machen. Sportvereine sollten sich klar zum Kinderschutz bekennen und dies nach innen und außen kommunizieren. Das kann über eine Verankerung im Leitbild, der Satzung und den Ordnungen geschehen ebenso wie durch eine entsprechende Öffentlichkeits- und Medienarbeit.
Beschwerdesystem für Kinder und Jugendliche
Die Benennung von Beauftragten oder Vertrauenspersonen im Verein ebenso wie ein funktionierendes Feedbacksystem (z. B. über einen regelmäßig geleerten „Briefkasten“ für Rückmeldungen aller Art) wird helfen, ein Opfer zu ermutigen, sich Hilfe zu holen.
Wissen und Handlungskompetenz entwickeln
Im Vordergrund steht die Sensibilisierung derjenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Über vereinsinterne Qualifizierung und regelmäßige Besprechung bei Vereinssitzungen können grundlegendes Wissen über das Thema sexualisierte Gewalt und Kompetenzen zur Prävention vermittelt werden.
Die MSJ bietet hierzu regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen an bzw. beauftragt gerne eine*n externe*n Referent*in für Inhouse-Seminare zum Thema PsG für Mitarbeitende aus der Vereinsjugendarbeit.
Sportliche Aktivitäten transparent gestalten – verbindliche Regeln vereinbaren
Schutzvereinbarungen (Schutzmaßnahmen) als verbindlicher Verhaltensleitfaden dienen sowohl dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt als auch dem Schutz von Mitarbeiter*innen vor falschem Verdacht. Die Regeln sollten gemeinsam – auch unter Beteiligung der Kinder und Jugendlichen – erarbeitet und regelmäßig fortgeschrieben werden. Sowohl die Mädchen und Jungen als auch deren Eltern werden über die Vereinbarungen genau informiert. Dies schafft für alle Seiten Klarheit und Transparenz.
Zum Schutz und zur Sicherheit aller Beteiligten sollten konkrete Regelungen z. B. für folgende Bereiche getroffen werden:
- Keine Einzeltrainings ohne Kontrollmöglichkeit
- Keine Privatgeschenke an Kinder und Jugendliche ohne Absprachen im Team
- Kinder und Jugendliche nicht in den Privatbereich mitnehmen, bzw. private Kontakte stets offen machen
- Auf Schutzräume (Umkleide-, Sanitär- und Schlafräume) der Kinder und Jugendlichen achten – nicht gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen duschen
- Keine Geheimnisse – alle Absprachen können öffentlich gemacht werden
- Kein Gruppenzwang, keine entwürdigenden Rituale
- Keine sexistischen Äußerungen und Witze vor Kindern und Jugendlichen
- Keine sexuellen Kontakte zu Kindern und Jugendlichen
Eignung von Betreuungspersonen überprüfen
Hier stehen Sportvereine vor einer schwierigen Aufgabe: Wie können sie gewährleisten, dass potentielle Täter*innen vom Engagement im Verein ausgeschlossen werden?
Ein Baustein hierbei kann die Einführung eines für alle verbindlichen Ehren- oder Verhaltenskodexes sein, der verschiedene Präventionsbereiche abdeckt und die Unterzeichnenden darauf verpflichtet, ethische Grundsätze eines altersgerechten Erziehungs- und Trainingsstils einzuhalten. Entsprechende exemplarische Selbstverpflichtungen (Schutzmaßnahmen) haben sowohl die Bayerische als auch die Deutsche Sportjugend entwickelt – diese können Vereinen als gute Grundlage dienen, individuelle und passgenaue Ehrenerklärungen zu erarbeiten. Insbesondere bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter*innen kann der Einsatz eines solchen Verhaltens- oder Ehrenkodexes ein hilfreiches Instrument sein, um das Präventionskonzept des Vereins zu thematisieren und die Haltung der neuen Mitarbeiterin bzw. des neuen Mitarbeiters zum Thema Kinder- und Jugendschutz besser einzuschätzen.
Seit 2018 ist die Einhaltung der Leitlinie zur Prävention sexualisierter Gewalt im Sport auch im Bereich überfachliche Jugendarbeit verpflichtend. Mit Einführung der neuen Sportförderrichtlinien 2017 wurde der Schutz von Kindern und Jugendlichen als integraler Bestandteil der kommunalen Sportförderung verankert. Die Sportförderrichtlinien sehen vor, dass bei der Beantragung der Sportbetriebspauschale oder anderer Arten der kommunalen Sportförderung die Eignung der Mitarbeiter*innen im Hinblick auf die Prävention sexualisierter Gewalt verpflichtend überprüft wird.
Seit 2018 findet diese Regelung auch bei der Förderung überfachlicher Maßnahmen durch die Münchner Sportjugend Anwendung.
Nach Ziffer 3.4 der Richtlinien zur Förderung der überfachlichen Jugendarbeit müssen bei mehrtägigen Maßnahmen (mind. 1 Übernachtung) ALLE Betreuer*innen über ein eintragsfreies erweitertes Führungszeugnis (Schutzmaßnahmen) verfügen.
Außerdem findet der Leitfaden Prävention sexualisierter Gewalt im Sport der LH München Anwendung.
Es empfiehlt sich darüber hinaus in Erfahrung zu bringen, in welchen Vereinen jemand zuvor tätig war, um dort Informationen einzuholen. Dabei ist es ratsam, die Bewerberin oder den Bewerber dafür um Einverständnis zu bitten.
Unter www.dsj.de findet man Materialien, Arbeitshilfen und Mustervorlagen der dsj und des DOSB zur Umsetzung von Maßnahmen in der Prävention, Intervention und Aufarbeitung psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt.
Wer tut denn so was? Und wie machen die das?
Um Mädchen und Jungen umfassend zu schützen, ist es notwendig, sich auch mit den Täter*innen und deren Strategien zu beschäftigen.
Es gibt viele Formen sexualisierter Gewalt (z.B. verbal, körperlich oder über soziale Medien), die auch in Verbindung mit weiteren nicht-sexualisierten Gewalterfahrungen auftreten können. Die individuellen Schamgrenzen der Opfer bestimmen die Schwere und das Ausmaß der Tat – z.B. ob es sich um grenzverletzendes Verhalten handelt oder darüber hinaus geht. Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, die von erwachsenen Täter*innen ausgeht, gibt es ebenso wie sexuelle Gewalt von gleichaltrigen Jugendlichen und Kindern untereinander.
Sog. sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen stellt eine extreme Form der Gewalt dar, in der Macht- und Autoritätspositionen ausgenutzt werden, um die eigenen Bedürfnisse auf Kosten der Opfer zu befriedigen. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ wird in Fachkreisen ungern verwendet, da Missbrauch in der Regel auch einen Gebrauch vermuten lässt – bei Kindern und Jugendlichen gibt es unter keinen Umständen einen sexuellen Gebrauch. Da der Begriff aber im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird, benutzen wir ihn im Folgenden, um auf die Strategien der Täter*innen einzugehen.
Menschen, die Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchen, wirken häufig “ganz normal”, es gibt kein einheitliches Täter*innenprofil und keine eindeutige Täter*innenpersönlichkeit. Sexueller Missbrauch im Sport geht wohl am häufigsten vom Personenkreis der Trainer*innen, Übungsleiter*innen bzw. Jugendleiter*innen aus, wobei auch Vorfälle durch andere Personen (z. B. gleichaltrige Teamkamerad*innen, Sportfunktionäre, Platzwarte etc.) bekannt sind. Als Täter treten überwiegend Männer in Erscheinung. Ihr Ansehen ist häufig hoch und sie genießen große Sympathie und großes Vertrauen im Verein und bei den Eltern. In Bezug auf die Arbeit mit den Kindern fällt auf, dass häufig Privates in die Arbeit einbezogen wird, indem z. B. der private PKW für Wettkampffahrten genutzt wird oder die Sportlerin bzw. der Sportler im Haus des Trainers übernachten.
Sexueller Missbrauch ist meist keine spontane Tat, sondern von langer Hand geplant und angebahnt. Die Täter*innen knüpfen im Vorfeld des Missbrauchs oft eine zunehmend enge Beziehung zu ihrem zukünftigen Opfer. Sie tun viel, um ein positives Bild von sich aufzubauen und gewinnen so auch das Vertrauen des Vereinskollegiums und der Eltern. Mithilfe von besonderer Aufmerksamkeit, Geschenken, Geheimnissen, aber auch Drohungen verstricken sie das Opfer in eine zunehmende Abhängigkeit und Isolation. Betroffene Mädchen und Jungen haben meist das Gefühl, sich mit dieser verwirrenden und unglaublichen Geschichte an niemanden wenden zu können.