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Jugendarbeit digital

Digitalisierung ermöglicht Mitgestaltung und Mitbestimmung für Jugendliche

Von 19. Juni 2023August 1st, 2024Kein Kommentar

Interview mit Dominik Hanakam
Er ist Medienpädagoge und befasst sich in seiner Tätigkeit an der Hochschule München mit den Themen Gaming, Social Media und Medien und kennt das Vereinsleben selbst seit frühester Kindheit. Im MSJ-Interview verrät er, wie sich der organisierte Vereinssport und die digitale Welt miteinander verbinden lassen.

Hallo Dominik! Wenn du an Digitalisierung oder digitale Transformation denkst: Kommen dir da zuerst die Chancen oder die Herausforderungen bzw. Risiken in den Sinn und warum?

Da würde ich in erster Linie auf die Chancen gehen, auch wenn ich die Risiken immer im Hinterkopf habe. Die Digitalisierung gibt uns nun mal so viele Möglichkeiten und ist mittlerweile fester Bestandteil unseres Alltags – deshalb begreife ich die digitale Transformation als so große Chance, da wir sie nicht mehr nur konsumieren sondern für unsere Zwecke nutzen können.
„Wenn Vereine die digitale Welt zur sehr als Risiko sehen oder sich davon abgrenzen, werden sie junge Menschen verlieren.“ 

Liegt in deinen Augen in digitalen Medien und Tools deshalb eine Chance für den Kinder- und Jugendsport oder auch ganz allgemein für die Jugendarbeit, um die Angebote nachhaltig und kreativ weiterzuentwickeln? Inwiefern kann der Sportverein durch Digitalisierung „besser“ werden?

“Besser werden” ist wahrscheinlich der falsche Begriff – vielmehr sollten die Vereine das Digitale versuchen ins Reale zu übertragen. Die Leidenschaft, die zum Beispiel Influencer*innen in der virtuellen Welt wecken, davon kann die Jugendarbeit doch profitieren. Dabei ist es wichtig, einen Ort zu haben oder zu schaffen, wo man das digital Erlernte real nachmachen kann, statt nur zu konsumieren. Wenn man die digitale Welt als Verein dagegen zu sehr als Risiko oder Konkurrenz sieht oder sich zu sehr davon abgrenzt, wird man junge Menschen verlieren.

Findest du denn, dass die digitale und reale Welt gerade im Sport in Konkurrenz zueinanderstehen?

Eigentlich sollten sie nicht in Konkurrenz stehen. Ich denke aber, dass es eine Konkurrenz zwischen traditionellen Vereinen und digitalen Communities gibt, die beide ermöglichen, seine Freizeit bei ihnen zu verbringen. Es gibt jedoch auch Möglichkeiten, diese beiden Bereiche zu kombinieren und das Interesse an realen sportlichen Aktivitäten zu wecken. Der Verein hat immer davon profitiert, dass man als Individuum Teil einer Gemeinschaft sein wollte. Inzwischen haben wir aber auch im Digitalen Orte geschaffen, die diese Gemeinschaft bieten. Ich sehe darin aber vielmehr die Chance für Vereine, ihren Gemeinschaftssinn auch ins Digitale zu übertragen und so junge Menschen in Bewegung zu bringen. Ich schlage vor, probiert es mal aus: Bietet als Verein doch mal ein kleines FIFA-Segment an und ermutigt dann die Spieler*innen dazu, auch in der realen Welt zu kicken.

Der Kern eines jeden Sportvereins muss sich also nicht verändern: Gemeinschaft – ein Ort für Freundschaften und Begegnungen. Schaffen wir den Zugang zu diesem Markenkern noch einfacher durch den Einsatz digitaler Hilfsmittel?

Richtig, ich möchte auf keinen Fall, dass sich dieser Kern des Sportvereins ändert. Er muss sich nur an die digitale Welt anpassen. Diese kleinen Gemeinschaften, die sich in der digitalen Welt finden, treffen, zusammensitzen, jeder bei sich zuhause, die muss man wieder aktivieren und ihnen zeigen, warum es so schön ist, sich in Präsenz zu treffen und sich gemeinsam zu bewegen. Und wir sollten diese digitalen Kleingruppen nicht verurteilen als etwas Schlechtes, sondern sie als Chance begreifen, sie in eine noch größere Mannschaft zu integrieren. Und da darf man auch mal mutig sein und beispielsweise eine kleine E-Sport-Abteilung gründen, um junge Menschen in den Verein zu lotsen.
„Die digitale Welt bringt tolle Möglichkeiten zur partizipativen Mitgestaltung auf niedrigschwelligem Niveau mit sich!“

Wenn du an weitere Felder der Jugendarbeit denkst: Wo kann die Digitalisierung in der Praxis helfen, um die Qualität zu verbessern? Hilft sie uns zum Beispiel gesellschaftliche Werte zu vermitteln?

Die digitale Welt bringt tolle Möglichkeiten zur partizipativen Mitgestaltung auf ganz niedrigschwelligem Niveau mit sich. Es gibt Tools, mit denen man den Coach evaluieren kann, und auch für den Verein gibt es Möglichkeiten junge Menschen am Vereinsleben partizipieren zu lassen. Die Unterstützung durch digitale Medien ist wichtig, aber entscheidend sollten weiterhin die Mitglieder und der Sport sein.

Wenn wir auf junges Engagement schauen, heißt es häufig, dass junge Menschen kein Ehrenamt oder Verantwortung übernehmen möchten, gleichzeitig versucht man, sie in ein traditionelles System zu integrieren. Ist nicht genau hier der Moment gekommen, in dem sich der organisierte Sport an eine modernere Welt anpassen darf?

Richtig! Ich denke, dass der Sport und auch die Ehrenamtsstruktur sich an die heutige Zeit und die heutige Generation anpassen muss. Die Vereinsstruktur sollte mehr Mitgestaltung ermöglichen, vielleicht auf niedrigerem Level. Homeoffice-ähnliche Aufgaben könnten auch im Verein ermöglicht werden. Ich finde schon, dass hier ein Aufbrechen von Strukturen notwendig und sinnvoll ist, ohne den Kern des Sportvereins zu verlieren.
„Statt Zeitersparnis und Hilfsmittel, wird das Smartphone immer häufiger Ablenkung von dem, was uns eigentlich wichtig ist.“

Kleiner Schwenk zu den Risiken, den Grenzen und Herausforderungen der digitalen Transformation in der Jugendarbeit. Wo siehst du solche? Wo müssen wir aufpassen? Wo sollten wir es nicht übertreiben?

Das ist ein ganz schmaler Grat, den es hier zu bewandern gilt zwischen positiven und negativen Auswirkungen der Digitalisierung. Wir werden das Rad nicht zurückdrehen können, „das Digitale“ wird sich immer weiter verstärken. Einhergehend damit werden sich auch die Risiken immer stärker äußern. Exemplarisch werden das gesundheitliche Risiken wie die Computerspielsucht und Mediensucht sein. Die Videospielsucht ist mittlerweile sogar als psychische Verhaltensstörung anerkannt. Statt Zeitersparnis und Hilfsmittel, wird das Smartphone immer häufiger Ablenkung von dem, was uns wichtig ist. Um diesen Risiken entgegenzuwirken, müssen wir uns selbst reflektieren und unser eigenes Konsumverhalten hinterfragen. Wir sollten uns bewusst machen, dass nicht alles, was digital ist, rund um die Uhr toll ist und dass wir uns nicht nur auf die digitale Welt konzentrieren sollten. Wir sollten uns gerade für junge Menschen dafür einsetzen, eine gewisse Medienkompetenz zu entwickeln. Wichtig für die Jugendarbeit ist es, über das Thema zu sprechen: Unsere Kinder und Jugendlichen benötigen eine Grundfähigkeit, kritisch mit digitalen Medien umzugehen.

Realität ist aber auch, dass Trainer*innen und Betreuungspersonen mit jungen Menschen zusammenarbeiten, die in diese digitale Welt hineingeboren wurden. Was müssen diese Trainer*innen im Umgang mit digitalen Hilfsmitteln in der Jugendarbeit mitbringen bzw. wissen?

Zunächst ist es wichtig, dass die Ehrenamtlichen ihre eigenen Werte vertreten und sich da in ihrer Tätigkeit nicht verstellen. Es ist völlig in Ordnung, wenn nicht-digital gedacht wird. Ausschlaggeben ist allein, nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen, sondern offen für das „Neue“ zu sein, ohne dabei seine eigenen Werte zu vergessen. Es gibt Möglichkeiten, digitale Medien im Verein zu nutzen, zum Beispiel bei Taktikbesprechungen oder Abstimmungen. Es kann hilfreich sein, Workshops anzubieten, um den Übungsleiter*innen die Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie die bekannte mit der digitalen Welt verbinden können. Da klappt es viel besser, für das Digitale zu begeistern, als wenn ich meine Coaches auf irgendwelche Fortbildungen zum Erwerb von Medienkompetenzen schicke. Angebote schaffen, durch die realisiert wird, welche Chancen in digitalen Tools liegen.

Eine Jugendgruppe besteht meist nicht nur aus Vernünftigen: Führen digitale Hilfsmittel dann nicht viel zu oft zu Ausgrenzung und Mobbing unter den Jugendlichen? Wie können Übungsleitungen damit umgehen, wenn sie mit solchen Problemen konfrontiert werden?

Cybermobbing ist natürlich ein großes Problem, besonders wenn viele Kinder und Jugendliche zusammenkommen. Hier ist sinnvoll, Aufklärungsveranstaltungen anzubieten und Informationsmaterialien auszulegen. Eine Meldefunktion kann Jugendliche sensibilisieren und erste Warnsignale setzen. Es ist wichtig zu verstehen, dass man dem Problem nicht vollständig entgegenwirken kann und als Trainer*in gewisse Grenzen hat. Dennoch kann man durch den Austausch mit Fachleuten Maßnahmen ergreifen, um Mobbing frühzeitig zu erkennen und einzudämmen.
„Es ist wichtig, kleine Erfolge zu erzielen und diese Erfahrungen zu nutzen, um weitere Digitalisierungsschritte im Verein anzugehen.“

Wenn du im Verein als Funktionär aktiv wärst: Wie wären deine ersten Schritte für eine erfolgreiche digitale Transformation deines Vereins?

Als Trainer wäre es mir wichtig, die Mitglieder meines Vereins zu kennen, um einschätzen zu können, wie weit ich gehen kann. Anstatt sofort das volle Programm der digitalen Möglichkeiten auszuschöpfen, würde ich mit kleinen unterstützenden Maßnahmen beginnen. Ich würde auf die Bedürfnisse der Jugendlichen im Verein hören und ihre Ideen und Kenntnisse der digitalen Welt nutzen. Zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, gemeinsam mit ihnen kreative Projekte anzustoßen, bei denen digitale und sportliche Elemente kombiniert werden. Es ist wichtig, kleine Erfolge zu erzielen und diese Erfahrungen zu nutzen, um weitere Digitalisierungsschritte im Verein anzugehen. Dabei sollte der Verein keineswegs seinen grundlegenden Charakter verlieren und der Sport im Fokus bleiben. Vielmehr geht es darum, den Verein durch die Digitalisierung zu bereichern.

Vielen Dank!

 

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