Die pandemiebedingten Schließungen des Breitensports sind für die Münchner Sportvereine eine Zerreißprobe. Trotz des Ausarbeitens professioneller Hygienekonzepte und des vorbildlichen Einhaltens sich oft verändernder Abstandsvorschriften kam es im vergangenen Jahr dann doch zum vorläufigen Aus für den Breitensport. Und trotz der anhaltenden Unsicherheit, wann und wie Breitensport für Kinder und Jugendliche in München wieder möglich sein wird, droht am Horizont schon die nächste Hiobsbotschaft.
Mit dem Konzept der Ganztagsschulen wollen Bund und Länder Kindern und Jugendlichen eine bessere und gezieltere Ausbildung ermöglichen und auch den veränderten Berufsbedingungen der Eltern entsprechen. Für Vereine stellt die Ausbreitung des Ganztags jedoch eine weitere Herausforderung dar: Zwar sind Vereine gern gesehene Unterstützer im Ganztagskonzept, da sie mit ihrer fachlichen und sportlichen Expertise helfen können, den Betreuungsdruck zu mindern und den Kindern und Jugendlichen einen abwechslungsreichen und vor allem bewegungsfördernden Unterricht zu bieten. Doch für Vereine lohnt sich das bisher nur selten. Finanziell können sie sich zwar vom Freistaat für ihre Angebote im Ganztag fördern lassen, doch reichen die Mittel der verschiedenen Programme oft kaum für mehr als die Fahrtkosten. Und die Sorge ist groß, dass Eltern und Kinder nach einem langen Ganztag in der Schule nur noch wenig Lust und Freizeit für sportliche Vereinsangebote haben, was sich in den kommenden Jahren zu einem echten Nachwuchsproblem für viele Sportvereine entwickeln könnte.
Corona hat nun erneut Bewegung in die Debatte gebracht, denn mit dem Verbot des Breitensports kamen auch die Kündigungsschreiben, insbesondere von Kindern bzw. deren Eltern. Zwar bleibt die Hoffnung, dass einige Kinder und Jugendliche nach der Pandemie wieder den Weg in den Verein finden werden, doch sicher ist das nicht. Nach all der Arbeit, die Vereine in die Gewinnung junger Mitglieder stecken, von Sportprojekttagen über Schnupperkurse bis zu Spaßturnieren, ist diese Entwicklung ein herber Rückschlag. Wenn nun also auch noch vermehrt Kinder geplättet vom langen Unterricht in Ganztagsschulen sich vom abendlichen Sportprogramm im Verein verabschieden, bricht den Sportvereinen gleich doppelt der Nachwuchs weg.
Gerade jetzt – in einer Corona-bedingten Sportpause – ist deshalb der richtige Zeitpunkt für Vereine, sich mit der Zukunft des Ganztags auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, die Zukunft der Nachwuchsarbeit und somit auch die Zukunft des Vereins zu sichern. An Konzepten und Ideen mangelt es nicht, im Freistaat haben sowohl die Bayerische Sportjugend (BSJ) als auch der Bayerische Landessportverband (BLSV) über die letzten Jahre einiges an Infomaterial zusammengestellt. So lässt sich schnell mehr über die verschiedenen Arten des Ganztags herausfinden, mögliche Ganztagsschulen im Vereinsumkreis identifizieren und sogar Vordrucke für mögliche Kooperationsverträge zwischen Schule und Verein liegen bereit. Solche Anträge gelten übrigens immer für das ganze Schuljahr. Wieso also nicht jetzt die Gelegenheit nutzen und für das nächste Schuljahr eine Kooperation mit einer Ganztagsschule ausloten?
Denn eine engere Zusammenarbeit zwischen Sportvereinen und Schulen ist nicht nur im Sinne der Nachwuchsgenerierung ein Zukunftsthema. Mit der wachsenden Münchner Bevölkerung steigt auch der Druck auf die Sportflächen und Hallen, die sich oftmals auf Schulgeländen befinden. Sportvereine die sich proaktiv mit angrenzenden Schulen an gemeinsamen Ganztagskonzepten versuchen, können hierdurch vielleicht auch den künftig steigenden Druck auf Sportflächen reduzieren.
Die Münchner Sportjugend setzt sich seit vielen Jahren in den verschiedensten politischen und jugendpolitischen Gremien für den Ausbau von Sportflächen ein, denn wir sind davon überzeugt, dass auch oder gerade nach dieser Pandemie Kinder und Jugendliche Sport brauchen und der Sport auch sie braucht. Zudem fordert die Sportjugend von den beteiligten Politikerinnen und Politikern sowie Fachleuten praxisnahe Konzepte, die aus dem Ganztag eine Win-win-Situation für Kinder, Eltern, Schulen und Sportvereine kreieren. Hier lohnt sich auch der Blick über den eigenen Tellerrand, denn in Köln ist es der dortigen Sportjugend bereits gelungen, ein innovatives Konzept zu entwickeln, bei dem das Engagement der Sportvereine im Ganztag über eine für die Kinder kostenlose, staatlich geförderte Vereinsmitgliedschaft belohnt wird. So können Vereine den Kindern nicht nur den Sport im Unterricht nahebringen, sondern sie auch an Wettbewerben und Ähnlichem teilnehmen lassen. Und am Ende bleiben sicherlich einige Kinder gerne bei ihrer neuen Vereinsmitgliedschaft und dem sportlichen Vereinsleben.
Dass der Ganztag trotz guter Konzepte und Ideen eine Herausforderung für Sportvereine und Schulen bleiben wird, steht außer Frage.
Dennoch will die MSJ mit diesem Heft einen weiteren Beitrag zu dieser Diskussion leisten und lädt alle Münchner Sportvereine, junge Sportlerinnen und Sportler sowie Lehrkräfte, Ehrenamtler und die Politik dazu ein, gemeinsam nach solchen Win-win-Situationen zu suchen. Denn eines sollte allen klar sein: München ist gerade auch wegen seines vielfältigen Breitensportangebots und der Tausenden Sportbegeisterten eine so lebens- und liebenswerte Stadt. Und dies sollten wir uns auch in Zukunft bewahren! Einer unserer Beiträge zur Diskussion lautet beispielhaft so:
Das Thema Ganztag und Sport hakt für immer daran, dass in der Schule Klassen organisiert sind, deren Kinder unterschiedlichste Interessen und Talente haben. Im Sportverein wollen wir die Kinder und Jugendlichen aber nach Neigungen sortieren, zumindest ab einem gewissen Alter. Der Unterschied zum Schulsport ist beim Vereinssport ja, dass ich die Sportart machen kann, die ich machen will, und zwar das ganze Jahr. In der Schule muss ich mich als begabte Turnerin durch sämtliche Ballsportarten quälen und andersherum. Ein Ziel des Ganztags ist ja, die Kinder außerhalb des eigenen Zuhauses bis 16 Uhr zu betreuen, um den Eltern die Berufsausübung zu erleichtern. Egal ob das gebundener Ganztag, Hort oder Tagesheim ist. Wenn die Kinder bis spät in den Nachmittag jedoch an solchen Orten bleiben müssen, können sie erst abends beim Sportverein sein. Eine Win-win-Lösung ist die flexiblere Handhabung des Ganztags: etwa, dass sich Kinder, die nachweislich beispielsweise in einen Sportverein gehen können und deren Betreuung sichergestellt ist, die Ganztagesbetreuung der Schule an bestimmten Tagen bereits früher verlassen und so im organisierten Verein dem Sport nachgehen können, der ihrer Neigung entspricht, und das bereits vor 17 Uhr. Denn die Zeitspanne zwischen 17 und 20 Uhr, wo in der Regel das Erwachsenentraining startet, ist kurz. Ein solches flexibleres Programm könnte auch finanziell auf andere Füße gestellt werden. Gegebenenfalls können Vereinsbeiträge für Kinder bis zu einem bestimmten Alter anteilig bis zu einem festgesetzten Betrag steuerlich absetzbar sein. Die Vereine können dann normal ihre Beiträge einziehen und die Eltern die Kosten gegenüber dem Staat geltend machen. So könnte man auch ein wenig auffangen, dass es teurere und günstigere Angebote gibt.
Für weitere Informationen rund um Sport im Ganztag oder um Teil dieser wichtigen Diskussion zu sein, schreiben Sie uns jederzeit an info@msj.de
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