Von Evelyn Zühl
Im Dezember durften wir euch bereits einen Einblick in die Arbeit von Jens Fülle verschaffen, der bei der OBA (Offene Behindertenarbeit – evang. in der Region München) für das Projekt „sport verein(t)“ arbeitet. In der Rubrik „Ehrenwert“ auf Seite 18 sagt er uns, dass Inklusion für ihn und seine ehrenamtlichen Mitarbeitenden nicht nur bedeutet, Möglichkeiten der Partizipation zu schaffen, sondern eine gemeinsam prägende Zeit zu erleben und diese vor allem im Herzen weiterzutragen. Im Interview erzählte Jens mir: „Wenn von Anfang an Menschen mit Behinderung wie selbstverständlich dabei sind – also niemand ausgeschlossen wird und dann wieder integriert werden muss –, bedeutet das, die Berührungsängste verschwinden nach und nach. Und irgendwann, wenn diese Ängste weg sind, bedeutet das, Inklusion hat funktioniert und der Begriff an sich wird keinen Gebrauch mehr finden.“
Lieber Jens, wie gehst du auf Vereine zu und welcher Verein kommt für dich primär in Frage?
Ausgangspunkt ist immer die von uns betreute sportinteressierte Person. Entweder weiß sie schon konkret, welche Sportart in Frage kommt, oder man setzt Prioritäten, die wir in einem Beratungsgespräch herausfinden. Wichtig sind eine gute lokale Erreichbarkeit des Vereins, das Alter der betreuten Person und ggf. auch, ob es die Möglichkeit zum Ligabetrieb gibt. Anhand der Anforderungen kenne ich bereits Sportvereine, die in Frage kommen, oder ich recherchiere im Netz. Dies führt mich dann zu einem konkreten Sportangebot. Das kann ein großer Verein sein, es kann aber auch darum gehen, mit einer nicht organisierten Freizeitsportgruppe, die sich bspw. vor der Pinakothek zum Fußballspielen trifft, Kontakt aufzunehmen. So verschieden ist auch die Herangehensweise: Wenn nicht explizit eine Ansprechperson benannt ist, dann werde ich bei kleineren Vereinen über die Vorsitzenden oder Abteilungsleitungen gehen, bei größeren Vereinen eher an Abteilungsleitungen und direkt an die Trainerinnen und Trainer.
Welche Kooperationen bestehen bereits? Wie kamen sie zustande und wie laufen sie?
Am Beispiel des TSV Gräfelfing, mit dem wir seit vielen Jahren kooperieren, möchte ich verdeutlichen, dass es verschiedene Wege zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung im und durch den Sport gibt. Ich nenne gerne das Beispiel einer Familie, die bereits seit Jahren in den Sportangeboten bei uns tätig ist (davon haben wir neun regelmäßige Gruppen von Fußball über Basketball bis zur Gymnastik) und selbst beim TSV Gräfelfing trainiert. Leichter ist der Zugang zu Vereinen eben dann, wenn persönliche Beziehungen bestehen oder wenn Trainierende und Funktionäre Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung haben. Beim TSV Gräfelfing und dem TSV Neuried fing es mit ersten inklusiven Tischtennisturnieren an. Bei den gemeinsamen Aktionstagen spielen Vereinsspielerinnen und -spieler, u.a. Regionalligisten, mit Einsteigern. Sie spielen das Doppel bspw. mit Handicap, wie Augenklappe, Küchenbrett als Schläger oder im Rollstuhl sitzend.
Es geht aber auch eine Nummer kleiner: so trifft sich unsere TT-Gruppe zwei- bis dreimal Mal im Jahr mit den Vereinsspielerinnen und -spielern zum gemeinsamen Training. Es gab weitere Verbindungen im Bereich Leichtathletik, Teilnahme an Vereinsmeisterschaften von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung und Bildung inklusiver Staffeln bei regionalen Läufen. Seit 4 Jahren hat die Tennisabteilung eine Trainingsgruppe für Menschen mit Behinderung, die teilweise auch an nationalen Turnieren teilnehmen. Seit 9 Jahren bereits gibt es eine Spiel- und Sportgruppe in Gräfelfing und seit 2017 ist diese Gruppe ein offizielles Angebot des TSV, d.h., alle Teilnehmenden sind auch Mitglieder des Vereins.
Seit August 2020 gibt es nun eine Inklusionsbeauftragte im TSV. Sie macht auf Vereinsebene, was ich selbst in München und Umgebung mache.
Ein weiteres tolles Beispiel ist auch die Erfahrung mit dem TTC München 1992. Wir hatten uns mit unseren vier leistungsstärksten Spielerinnen bzw. Spielern und einem Ehrenamtlichen von uns an den Vorsitzenden gewandt, um im regulären Ligabetrieb mitspielen zu können. Daraufhin wurde eine neue Mannschaft gebildet mit einer tollen Mischung aus „alten“ Vereinsmitgliedern und „unseren“ SportlerInnen.
Weitere tolle Beispiele wären Kooperationen mit dem FFC Wacker, TSV und FC Unterföhring, ESV München, FC Bayern Campus und dem FC Bayern Basketball. Bei unserer Corona-bedingt letzten erfolgreichen Vermittlung ging es um Schach beim MSA Zugzwang 82.
Zusammenfassend: es gibt neben der Möglichkeit, einzelne Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung zu integrieren, auch die Möglichkeit, gemeinsamen Trainings- und Aktionstage umzusetzen. Bei der Organisation sind wir als OBA natürlich maßgeblich mit dabei und kreieren so ein tolles Erlebnis für alle Beteiligten! Für einen Verein ist es auch möglich, das Angebot um ein Einsteigerangebot zu erweitern, indem er zum Beispiel eine unserer Sportgruppen mitsamt Trainerinnen und Trainern aufnimmt.
Wie kann ein Verein auf die OBA und auf dein Team zugehen, wenn er jetzt von euch hört und Interesse geweckt wurde?
Da würde ich mich riesig freuen, wenn durch diesen Artikel Sportlerinnen und Sportler sowie Trainerinnen und Trainer meine Kontaktdaten nutzen, um einander kennenzulernen und dann zu Brückenbauern in ihrem Verein oder sogar zu persönlichen Assistenzen im Sinne der Inklusion zu werden. Vielleicht ist ja die ein oder andere oben beschriebene Möglichkeit interessant? Man verhilft nicht nur Sportinteressierten mit Behinderung zu mehr Teilhabe, sondern man ermöglicht auch den „Nichtbehinderten“ Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Gleichzeitig wird allen Teilnehmenden viel Spaß bereitet, es gibt berührende Momente und es werden neue Beziehungen aufgebaut.
Welche anderen Optionen gibt es noch, die einem Verein oder Ehrenamtler helfen, um Inklusion voranzubringen?
Es gibt natürlich diverse Fördermöglichkeiten, aber auch Angebote zur Qualifizierung im Thema Inklusion. Hier stehe ich für mehr Informationen sehr gerne zur Verfügung (Kontakt zu Jens per Mail an j.fuelle@oba-muenchen.de).
Gibt es noch weitere Anlaufstellen für mich als Verein, die du persönlich empfehlen kannst?
Von Special gibt es noch ein Angebot auf Landesebene mit dem ähnlichen Ansatz. Ich verstehe unser Angebot nicht nur für die Zielgruppe „Menschen mit Lernschwierigkeit oder geistiger Behinderung“, was aufgrund der Historie unserer Einrichtung durchaus unser Schwerpunkt ist, sondern es ist ein Angebot für alle, die sich aus irgendeinem Grund (physisch, emotional, psychisch oder eben kognitiv) beim Zugang zu einem Sportangebot behindert fühlen. Es gibt in München und Umgebung noch weitere tolle Angebote und Initiativen, z.B. im Bereich Klettern, Bergsport oder auch Rollstuhlbasketball/-tanz, aber von einer weiteren Vermittlungs- oder Schnittstelle in München und Umgebung weiß ich (noch) nichts.