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Nachhaltigkeit

„In der Mobilität liegt das größte Potenzial“

Prof. Dr. Peter Kuhn ist Professor am Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Bayreuth. In seiner Tätigkeit befasst er sich mit den Themen Nachhaltigkeit und Sport, hat unter anderem 2022 als Initiator und Leiter die Denkfabrik „think.sportainable“ gegründet. Im MSJ-Interview verrät er, wie sich organisierter Vereinssport nachhaltiger gestalten lässt.

Sie befassen sich schon lange mit dem Thema Nachhaltigkeit im Sport. Was hat Sie wann dazu bewegt?

Gegen Ende meiner Schulzeit, Ender der 1970er und zu Beginn meines Zivildienstes, bin ich in die grüne Ecke hineingerutscht beziehungsweise ich habe da damals so ein bisschen hineingeschnuppert. Die hieß damals noch Friedensbewegung. Ich habe mir unter anderem die Frage gestellt, ob wir uns Atomkraft zumuten können. Erst war ich Aktivist, habe aber gemerkt, dass ich mehr in die Kommunikation gehen muss. Dann wurde 1986 meine Tochter geboren und da war Tschernobyl. An der Uni fand das Thema Nachhaltigkeit und Sport noch kaum statt. Erst Ende der 1980er-Jahre begann das, was wir heute nachhaltige Sportentwicklung nennen

Wie ging es dann weiter?

Erste Forschungen zu Beginn der 1990er-Jahre mündeten in die Idee der Veränderung von Strukturen. Ich habe mich im Folgenden mit ökologischer Bildung im Sport beschäftigt. Die zweite Schlüsselstelle war 2018, als sich Greta Thunberg mit einem Pappschild auf die Straße setzte und die Schule für das Klima bestreikte. Es ist uns im selben Jahr gelungen, bei uns an der Uni Bayreuth den ersten Lehrstuhl für Sportökologie zu schaffen. Das hat mich ermutigt, an der Stelle weiterzumachen, an der ich Mitte der 1990er aufgehört hatte (Anm. d. Red.: Prof. Kuhn hat 1996 in Sportwissenschaft zum Thema Indoorsport und Ökologie promoviert). Das hat viel interdisziplinäre Forschung angeregt, aber auch Kooperationen mit der Praxis. Wenn man etwa einen nachhaltigen Sportschuh herstellen will, muss man eben mit einem etablierten Hersteller zusammenarbeiten. In der Zeit haben wir das Thema vorangetrieben und in 2022 außerdem die Denkfabrik „think.sportainable“ gegründet. Das Thema Nachhaltigkeit und Sport ist dann so durch die Decke gegangen, wie wir uns das nie hätten vorstellen können.

Wie viel trägt der Sport bei?

Ich mache das mal am Volleyball fest: Im Volleyball gehen wir davon aus, dass rund 100 Millionen Autokilometer pro Jahr allein in Deutschland für Training und Wettkampfsport zurückgelegt werden. Wenn wir das auf alle Sportarten hochrechnen, bedeutet das 5 Millionen Tonnen CO2 durch Autoverkehr im Sport pro Jahr. Das entspricht etwa dem, was die Sportstätten verursachen, die mit weiteren 7,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zu Buche schlagen. Ein Sportler erzeugt im Jahr im Durchschnitt 850 Kilogramm CO2. Die Natursportler liegen teilweise drei- bis fünfmal so hoch, weil sie weitere Wege zurücklegen. Mobilität, kann man sagen, ist das größte Problem im Sport.

Wie groß ist denn das Problem?

Natürlich stellt sich die Frage, ob wir uns so einen Sport noch leisten können, wenn wir die Erderwärmung so gering wie möglich halten und das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen. Jeder Verein kann sich ja selbst ausrechnen, wie viel er zum CO2-Ausstoß beiträgt, wenn er die Anzahl seiner Mitglieder mit dem gerade genannten jährlichen Ausstoß multipliziert, und das ist nur der CO2-Ausstoß, da sind Turnhalle und Material noch nicht einberechnet. Aber: Wir brauchen unseren Sport unbedingt, denn der Sport bringt so viel Gutes, wenn auch nicht für die Menschheit, aber für den einzelnen Menschen. Mein Plädoyer lautet daher: Nicht den Sport abschaffen, weil er so viel Dreck macht, sondern ihn hin in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln.

In welchen Bereichen steht der Breitensport denn verhältnismäßig gut da?

Im Münchner Raum haben wir festgestellt, dass mehr Menschen die Öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, um zum Sport zu kommen, als etwa in der Oberpfalz, was natürlich auch am Angebot liegt.

Die Fußballer haben, was den einzelnen Sportler angeht, den geringsten CO2-Ausstoß. Er liegt bei rund 340 Kilogramm CO2 pro Jahr, also bei fast halb so viel wie der Durchschnitt. Das liegt daran, dass es in fast jedem Dorf einen Fußballverein gibt, sodass viele zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen. Aber: Die Fußballer sind die meisten. Und Kleinvieh macht auch Mist, weshalb die absolute Emission natürlich höher ist als etwa bei den Wellenreitern. Anders gesagt: Fußballer gibt es viele, Wellenreiter wenige.

Wann ist das Thema in den Vereinen wirklich angekommen?

Ich wage zu behaupten, dass jeder Mensch, sei es in Schule, Ausbildung, an der Uni oder im Beruf schon einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit in Berührung gekommen ist. Das Thema ist bei allen Menschen angekommen. Ob es auch eine Wirkung hat, ob sich jemand wirklich nachhaltig verhält, steht auf einem anderen Blatt. Wir bewegen uns in Strukturen, in denen viele nicht so nachhaltig leben können, wie sie es gerne täten.

Wo stehen Vereine denn? Wo besteht der größte Nachholbedarf, worin liegt das größte Potenzial?

In der Mobilität liegt das größte Potenzial. Eine Studie hat gezeigt, dass im Schnitt 1,5 Personen in einem Auto zum Training sitzen. Zu Wettkämpfen sieht es da etwas besser aus. Es geht darum, Fahrgemeinschaften möglichst voll zu bekommen. Das Thema Fahrgemeinschaften birgt noch viel Potenzial, auch der Umstieg auf den ÖPNV. Insgesamt ist das Potenzial aber zweigeteilt: in die Mobilität und in die Sportstätten. Auf die haben Vereine jedoch oft wenig Einfluss, es sei denn sie sind ein Großverein mit eigenen Sportstätten. Das ist auch der Grund, warum wir im Sport relativ wenig Wandel sehen. Und wenn man weiterdenkt, könnte man auch den Ligabetrieb so umstrukturieren, dass er entlang vorhandener S-Bahnlinien liegt, oder Fördermittel an Mobilität koppeln, sodass der Verein belohnt wird, der nachweislich die wenigsten Autopersonenkilometer erzeugt. Da gibt es viel Spielraum, der aus meiner Sicht noch nicht ausgeschöpft ist.

Welche Sportarten sind denn besonders klimaschädlich? Und: Warum?

Pro Sport treibender Person tatsächlich die Natursportarten. Man muss schließlich erst mal hinkommen, zum Berg, zum See, zum Golfplatz. Das ist etwas paradox: Die, die die Natursportarten betreiben, sind oft Menschen, die sehr umweltbewusst sind.

Und welche Sportarten sind am klima- und umweltfreundlichsten?

Man kann sagen, der Laufsport ist die umweltfreundlichste aller Sportarten. Man braucht nicht viel. Man kann einfach rausgehen und laufen, muss nirgends hinfahren. Der zweite Grund ist, man braucht relativ wenig Material und keine Sportstätte. Schließlich sind Mobilität und Sportstätten die größten Faktoren in der Klimabilanz einer Sportart.

 Was würden Sie sich wünschen im Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit im Sport?

Das ist eine große Frage. Wünschenswert wäre, dass wir alle Sportstätten möglichst nur mit erneuerbaren Energien betreiben, mit Solar-, Windenergie und Geothermie; dass man beim Neubau CO2-neutrale Baustoffe verwendet. Ideal wäre eine Sportstätte, die mehr Energie erzeugt, als sie verbraucht. Ein Stadion zum Beispiel hat eine riesige Fläche. Würde man ein Stadion wie die Allianz-Arena außen komplett mit Solarpanelen bestücken, hätten wir meine Wunsch-Arena. Ein weiterer Wunsch wären der ÖPNV-Ausbau und dafür höhere Zuschüsse. Und dass man für die erste und die letzte Meile zur Sportstätte Autohersteller gewinnt, die mit klimaneutralen Fahrzeugen einen Shuttle-Service anbieten. Was Material betrifft, brauchen wir eine Kreislaufwirtschaft mit möglichst geringem Ressourcenverbrauch. Außerdem müssen alle Menschen, die im Produktionsprozess eingebunden sind, menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen haben, ohne Kinderarbeit.

Manches ist tatsächlich noch Wunschdenken, aber vieles davon funktioniert schon.

Warum kommt Sport in Sachen Nachhaltigkeit eine besondere Rolle zu?

Man sagt dem Sport ja nach, dass er der Kitt der Gesellschaft ist. Er hat eine enorme Integrationskraft. Er sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche nicht auf der Straße rumhängen. Menschen ziehen viel persönliche Stärke daraus. Auch das Gemeinschaftsgefühl wird gestärkt. Nelson Mandela hat gesagt: „Sport has the power to change the world. It has the power to inspire, the power to unite people in a way that little else does.“ Dieses Potenzial muss man nutzen. Ich würde mir wünschen, dass Vereine nicht nur behaupten, sie täten ja schon viel für den Umweltschutz. Ein Verein wie der FC Bayern muss voran gehen, der hat eine enorme Strahlkraft. Es bräuchte einen Vorstand, der sich ausdrücklich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt, es vorantreibt. Aber ich bin zuversichtlich: Das wird kommen.

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