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Im Interview: Michael Franke & Klaus Weber von der FT Gern

Von 22. August 2022Kein Kommentar

Dem Ball es völlig egal, wer draufhaut!

Sportvereine sind vor allem für Kinder und Jugendliche so viel mehr als nur Dienstleister für Sportangebote oder Ferienbetreuer. Vereine sind Stützpfeiler unserer Demokratie, unserer Gesellschaft und unserer Werte. Das ist heute jedoch längst nicht mehr jeder und jedem bewusst. Michael Franke und Klaus Weber, Vorsitzender und Jugendleiter der FT Gern, appellieren deshalb im Interview mit der MSJ leidenschaftlich, welch bedeutende Rolle Vereinen in unserer Gemeinschaft zukommt und deshalb noch größerer Unterstützung bedarf.

Lieber Michael, lieber Klaus, erzählt mal: Wie war euer Weg in den Sportverein, wie prägt euch der Verein seither und was gibt er euch, dass ihr euch ehrenamtlich im Verein engagiert?

Klaus: Das, was mir der Sportverein bereits in Kinderjahren gegeben hat, sind Freundschaften, die bis heute halten. Das macht für mich den Verein aus: Man lernt neue Leute kennen, schließt Freundschaften. Als Funktionär habe ich nun tolle Aufgaben gefunden, in denen ich neben meinem Beruf etwas schaffen kann. Ich arbeite mit Menschen unterschiedlichster Art zusammen. Meist wissen wir nicht einmal voneinander, was der andere beruflich macht.

Michael: Ich kam bereits als Kind zur FT Gern und bin auf Kinder aus dem engeren Umfeld des Vereinsgeländes gestoßen. Dadurch sind auch bei mir Freundschaften entstanden, die einfach fürs Leben bleiben. Egal ob Schule, Studium oder Job, die engsten Kontakte habe ich nach wie vor zu Menschen aus meinem Sportverein. Als Vorsitzender kann ich hier Dinge umsetzen, die nur im Verein möglich sind. Hier findet man ein Umfeld vor, in dem man sich ausprobieren kann, in dem auch mal Fehler erlaubt sind. Der Verein ist aus meiner Sicht der beste Spiegel der Gesellschaft, weil wir hier nicht in unserer Blase unterwegs sind, sondern sich alle Menschen egal welchen Alters, welcher Herkunft oder welchen sozioökonomischen Hintergrunds begegnen und zusammenarbeiten. Gerade in Zeiten der Digitalisierung bedeutet Verein für mich immer noch echtes Leben, mit begrüßen, Hand geben und in die Augen schauen. Der Sportverein ist wie ein kleines Dorf, in dem man sich kennt und in dem man auch etwas entspannter sein darf als woanders. Der Verein schafft Gemeinschaft!

Häufig wird vom Sportverein ein verstaubtes und überholtes Bild gezeichnet. Ein Bild von dunklen Stuben, langweiligen Tagesordnungen, Schweiß, alten Socken und männlichem Machtgerangel. Auch der Niedergang des Sportvereins wird schon seit Jahrzehnten prognostiziert. Jetzt könnt ihr dagegenhalten: Berichtet von der Erfolgsgeschichte des Sportvereins und wie es ihm gelungen ist, sich immer wieder an den Geist der Zeit anzupassen.

Klaus: Gerade aktuell stecken wir im Sport doch in einer Phase, in der sich wieder enorm viel ändert. Es finden Generationswechsel statt, die Digitalisierung lässt uns weitsichtiger werden und man möchte ein Zentrum der Gesellschaft sein, wo es nicht nur um Fußball, Tennis oder Turnen geht. Der Verein ist nicht mehr so verstaubt, wie manch einer denkt. Gerade in Zeiten der Veränderungen braucht es viele junge Leute mit ganz anderen Ideen, die vieles anders machen.

Michael: In der FT Gern haben wir bereits vor einigen Jahren erkannt, dass wir als Verein mit einer Gesellschaft konfrontiert sind, die sich gerade wahnsinnig schnell wandelt. Wir hatten da ein Aha-Erlebnis, das uns gezeigt hat, dass wir vom starren Sportverein weg müssen und dass das, was in der Vergangenheit funktioniert hat, heute teils nicht mehr funktioniert. Wenn ein Verein daraus keine Konsequenzen zieht, bleiben die Mitglieder eben weg. Dadurch sind Vereine automatisch dazu angehalten, sich an den Geist der Zeit anzupassen, ohne aber den Geist des Vereins zu verlieren.

Was entgegnest du in diesem Zusammenhang dem Spruch: Wenn sich ein Sportverein anfühlt wie ein Fitnessstudio, bleiben die Menschen weg.

Michael: Einerseits ist die Flexibilisierung des Angebots ähnlich zum Fitnessstudio auch eine Option für Sportvereine. Offene Sportangebote für Jugendliche wie zum Beispiel „Mädchen an den Ball“, zu denen die Kinder hingehen oder wegbleiben können, wie sie wollen, können eine gute Ergänzung zum traditionellen Vereinsangebot sein. Andererseits muss sich der Verein am Ende weiterhin anfühlen wie ein Verein. Wir müssen es schaffen, den Mitgliedern beizubringen, dass sie als Teil des Vereins auch Pflichten haben.

In den vergangenen 50 Jahren ist die Anzahl der Sportvereine in Deutschland um rund 50 % gestiegen, etwa jeder fünfte Verein in Deutschland ist ein Sportverein und am Ende wollen wir alle am liebsten eines: uns gemeinsam bewegen. In keinem Bereich engagieren sich die Mitglieder so oft freiwillig; es ist längst nicht nur der Sport, es ist das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Mitbestimmung und vielem mehr. Was macht für euch den Sportverein im Vergleich zu kommerziellen oder Freizeitsportangeboten aus?

Klaus: Ich denke, genau das ist der Punkt, an dem wir ansetzen müssen: Weg von dem Image der Vereinsmeierei, in dem Faktoren wie Mitbestimmung, Gemeinschaft und Zusammenhalt als Bild des verstaubten Sportvereins gelten. Und hin dazu, dass genau diese Faktoren Anreiz sind für junge Menschen, sich im Verein engagieren zu wollen. Weg von den wenigen, die im Verein alles machen und hin zu den vielen, die sich die Arbeit freiwillig und selbstbestimmt aufteilen.

Warum glaubt ihr, ist ausgerechnet der Sport im Verein so gut dafür geeignet, junge Menschen zusammenzubringen?

Michael: Der Sport ist in Bezug auf Politik, Herkunft, sozialem Status usw. wertefrei. Im Sport gelten Regeln, die für alle gleich sind. Und das nicht nur im Wettkampf, sondern überall. Im Fußball gibt es einen super Spruch: Dem Ball ist es völlig egal, wer draufhaut! Und das sagt alles aus: Der organisierte Sport ist das größte Sozialprojekt in unserem Land. Leider wird häufig nicht erkannt, dass wir wesentlich unterstützenswerter sind, als es bisher passiert.

Klaus: Der Sport im Verein ist so vielschichtig, dass alle ihren Platz darin finden. Allein durch die große Anzahl an Sportvereinen ist der Zugang für alle möglich, der nächste Verein quasi immer direkt ums Eck.

Sportvereine übernehmen zahlreiche gesellschaftliche Aufgaben. Sei es der Seniorensport in einer alternden Gesellschaft, die Integration geflüchteter Menschen oder der soziale Begegnungsraum während einer Pandemie. Für Kinder und Jugendliche sind sie vor allem auch ein Raum der außerschulischen Bildung. Wie wichtig sind Sportvereine für die Entwicklung junger Menschen zum Beispiel im Vergleich zur Schule?

Klaus: Der Sportverein ist ein Ort der charakterlichen Bildung. Ich lerne dort mit so vielen Dingen umzugehen, mit meinen Gegnern, mit meinen Mitspielern, mit Zuschauern oder Schiedsrichtern. Gerade Kinder lernen im Verein vieles, das in der Schule nur bedingt möglich ist.

Michael: Zudem ist es ja keine neue Erkenntnis, dass Bildung Bewegung voraussetzt. Erlerntes festigt sich besser, wenn sich bewegt wird. Wenn sich die Bereiche Schule und Sportverein im Zuge der Einführung des Ganztags gezwungenermaßen annähern, brauchen wir genau deshalb Unterstützung aus der Politik. Schule ohne Bewegung und Sportvereine wird nicht funktionieren. Der Wertschöpfung, die Sportvereine für unsere Gesellschaft leisten, muss spätestens dann Rechnung getragen werden.

Bei all der Bedeutung des organisierten Sports für unsere Gesellschaft, über die wir uns einig sind: Ist unserer Gesellschaft überhaupt noch klar, was sie an den Sportvereinen haben? Welche Erfahrungen macht ihr?

Klaus: Gerade viele Eltern sehen im Sportverein einen Betreuungsdienstleister, bei dem sie ihr Kind abgeben können und es dort günstig bei einem gut qualifizierten Übungsleiter aufgehoben ist. Einerseits hat man also Anforderungen an den Verein, die sich aus dem gesellschaftlichen Wandel ergeben, andererseits wünscht man sich dieselben Angebote wie vor 40 Jahren. Nach dem Motto: Breitensport im Verein, der kostet ja nichts. Diesen Anspruch können Sportvereine auf ehrenamtlicher Basis heute nicht mehr stemmen. Da stecken wir in einem Dilemma.

Michael: Ich kann mir hier gut vorstellen, dass ein guter Ansatz wäre, Unterstützung durch den Staat bzw. die Stadt nicht mit der Gießkanne zu verteilen, sondern zielgerichtet dort zu unterstützen, wo zum Beispiel lizensierte Ehrenamtliche mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Das Geld gehört nicht in die erste Herrenmannschaft, viel mehr braucht es einen Steuermechanismus, um dort stärker zu unterstützen, wo es Sinn macht. Die Ausbeutung ehrenamtlichen Engagements im Sport stößt langsam an seine Grenzen.

Schulischer Ganztag, ehrenamtliches Engagement oder Digitalisierung haben wir bereits angesprochen: Welche Herausforderungen seht ihr auf Sportvereine zukommen und wo erhofft ihr euch Unterstützung aus Politik, Verband und Co.?

Michael: Aus meiner Sicht ist es vor allem die gesellschaftliche Wahrnehmung: Es muss wieder verstanden werden, was ein Sportverein ist, leistet und wie mitgeholfen werden kann. Teils verstehen das nicht einmal mehr die eigenen Mitglieder im Verein. Daran müssen wir arbeiten. Der Sport braucht eine noch stärkere Lobby! Wir alle in den Vereinen müssen verbreiten, wie wichtig die Vereine für unsere Gesellschaft sind.

Klaus: Im Jugendbereich sehe ich vor allem die Herausforderung, qualifizierte Freiwillige zu finden, die sich engagieren möchten. Hier sollten wir darüber nachdenken, wie wir Ehrenamtliche ausbilden möchten. Außerdem verwehren wir in München vielen Kindern und Jugendlichen die Erfahrung, im Sportverein groß zu werden, weil uns schlichtweg Sportflächen fehlen und die Wartelisten immer länger werden. Da gibt es auch in der Stadt München noch zahlreiche Optimierungsmöglichkeiten, wie wir vorhandene Flächen besser nutzen können.

Bitte vervollständigt den Satz: Für mich bedeutet Verein…

Michael: …Leben!

Klaus: …Zufriedenheit!

Vielen Dank für das Gespräch und euer Engagement!

 

 

 

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